Prinzip und Funktion der Herzratenvariabilität

Mit der Verbreitung von Smart Watches und anderen Wearables findet die Herzratenvariabilität (= Herzfrequenzvariabilität) breite Beachtung als zentraler Biomarker für die individuelle Gesundheit.
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Inhaltsverzeichnis

Was ist die Herzratenvariabilität?

Die Herzratenvariabilität oder auch Herzfrequenzvariabilität (kurz: HRV) ist kein neues Phänomen, kommt aber durch die Verbreitung von mobilen Messgeräten aus der wissenschaftlichen Versenkung. Bereits vor 1700 Jahren wusste der chinesische Arzt Wang Shu-He um die Bedeutung der (Un-)Regelmäßigkeit des Herzschlags:

Wenn das Herz so regelmäßig wie das Klopfen eines Spechtes oder das Tröpfeln des Regens auf dem Dach wird, wird der Patient innerhalb von 4 Tagen sterben.

(Wang Shu-He, 180-270 n. Chr.)

Die HRV gibt die Veränderungen in der Zeit zwischen aufeinanderfolgenden Herzschlägen wider, also der Zeit zwischen zwei R-Zacken auf einem EKG (mehr zur Messung und Berechnung der HRV). Ein gesundes Herz schlägt nicht in konstantem Rhythmus und genau diese Varianz misst die HRV.

Mit dieser Definition erklärt sich auch schnell das Titelbild, bei dem Du Dich vielleicht nach dem Zusammenhang zum Thema gefragt hast: die Rhythmuswechsel im Jazz sind Metapher für gesunde HRV im Gegensatz zum regelmäßigen Techno-Beat.

Dabei ist die HRV selbst kein funktionales Prinzip, sondern indirekter Indikator für die Anpassungsfähigkeit (=Fitness, von englisch „to fit“: anpassen an) unseres Körpers an innere und äußere Veränderungen. Diese physiologische Resilienz wird vom autonomen (synonym: vegetativen) Nervensystem gesteuert und umfasst alle Organe, die wir nicht willentlich kontrollieren. Anhand der HRV können wir die Aktivierung dieses Systems ablesen – und alles, was auf uns einwirkt auf physiologischen Stress (sog. allstatische Last) überprüfen. Mehr dazu in HRV-Grundlagen; Teil 3: Normwerte und Interpretation der HRV.

Sympathikus vs. Parasympathikus

Das autonome Nervensystem (ANS) ist Teil des peripheren Nervensystems, das den Körper unbewusst und automatisch steuert. Es reguliert lebenswichtige Funktionen des Körpers, wie die Atmung, den Herzschlag, die Verdauung, die Durchblutung und die Körpertemperatur.

Das ANS besteht aus zwei Hauptzweigen: dem sympathischen Nervensystem und dem parasympathischen Nervensystem:

Der Sympathikus ist aktiv, wenn der Körper mit Stress, Gefahren oder Bedrohungen konfrontiert wird. Es löst die „Kampf oder Flucht“ -Reaktion („Fight or Flight“) aus, die den Körper auf eine schnelle und energieintensive Reaktion vorbereitet: erhöht den Herzschlag, den Blutdruck, die Atmung und die Durchblutung der Muskeln, um eine schnelle Reaktion zu ermöglichen. Der Blutzuckerspiegel steigt und Stresshormone hemmen „unnötige Verbraucher“ wie Verdauung, Zellwachstum, Insulinproduktion usw.

Der Parasympathikus hingegen ist aktiviert, wenn der Körper sich entspannt und regeneriert. Es wird oft als der „Ruhenerv“ bezeichnet, da es die Entspannungsreaktion des Körpers fördert und den Körper auf eine Ruhe- und Verdauungsphase vorbereitet („Rest and Digest“): senkt den Herzschlag, den Blutdruck und die Atmung, und erhöht die Aktivität des Verdauungssystems. Der Muskeltonus sinkt, der Stoffwechsel wird angeregt und die Glykogendepots werden gefüllt.

Diese beiden Zweige des autonomen Nervensystems wirken einander entgegen und ergänzen sich in ihren unterschiedliche Funktionen. Das Ziel ist die reaktive Balance aus aktivem Selbstschutz und passiver Reparaturphase – mit allen Organen und Teilsystem, bis hin zum Zellstoffwechsel. Oberste Prämisse ist die Erhaltung des Gesamtsystems Körper in Reaktion auf innere oder äußere Dysbalancen. Die HRV macht den Aktivierungszustand zwischen diesen beiden sich ergänzenden Modi messbar – und deckt so gravierende oder anhaltende Störungen dieses grundlegenden Prinzips auf.

Anwendungsbereiche und Optimierungspotenziale

Die HRV wird in vielen Bereichen der Medizin, Sportwissenschaften und psychologischen Forschung eingesetzt. Hier sind einige Anwendungsbeispiele:

  1. Diagnostik und Therapie von Herzerkrankungen: Die HRV kann zur Diagnose von Herzerkrankungen wie koronarer Herzkrankheit, Herzinsuffizienz und Herzrhythmusstörungen verwendet werden. Die HRV kann auch zur Überwachung der Wirksamkeit von medizinischen oder therapeutischen Behandlungen eingesetzt werden.
  2. Stressmanagement: HRV-Messungen können zur Beurteilung von Stressreaktionen verwendet werden. Wenn die HRV reduziert ist, kann dies auf eine übermäßige Stressreaktion des Körpers hinweisen. HRV-basierte Entspannungsverfahren wie Biofeedback oder Atemübungen können zur Verringerung von Stress eingesetzt werden.
  3. Trainingssteuerung: Die HRV kann zur Beurteilung der körperlichen Belastung von Athleten verwendet werden. Eine erhöhte HRV kann auf eine erhöhte Anpassungsfähigkeit des Körpers an Belastung hinweisen.
  4. Psychologische Forschung: Die HRV kann zur Untersuchung von Emotionen und kognitiven Prozessen verwendet werden. HRV-Veränderungen können auf emotionale Reaktionen und kognitive Belastungen hinweisen.
  5. Schlafmedizin: Die HRV kann zur Untersuchung von Schlafstörungen und zur Beurteilung der Schlafqualität verwendet werden.

Mit einfacher Routine in den Alltag integriert, ist die HRV darüberhinaus optimales Instrument, um den eigenen Lebensstil und verbundene Gewohnheiten zu reflektieren und in der physiologischen Wirkung auf Gesundheit, Wohlbefinden und Leistungsvermögen zu optimieren. Neben HRV-Biofeedback und geführten Atemübungen zur gezielten Entspannung können anhand der am Morgen gemessenen HRV alle Einflüsse des Vortages auf ihre Wirkung geprüft werden. So schult sich mit der Zeit das eigene Körpergefühl anhand objektiver Messwerte. Insgesamt kann die HRV als nicht-invasive, kosteneffektive und einfache Methode zur Beurteilung von körperlicher und geistiger Gesundheit eingesetzt werden.

Für ein tieferes Verständnis zur weitreichenden Aussagekraft der Herzfrequenzvariabilität schauen wir uns die Messverfahren und Berechnungsmethoden von HRV-Parametern an.

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