Rauchen und das autonome Nervensystem
Die oft bemühte „Beruhigungszigarette“ ist ein psychologisches Phänomen, auf das wir hier nicht weiter eingehen wollen. Daß Rauchen hingegen einen Effekt auf unser körperliches Stressevel hat, ist unumstritten. Eine frühere Studie (1) untersuchte die Auswirkungen einer einwöchigen Raucherentwöhnung auf den ambulanten Blutdruck, die Herzfrequenz und die Herzfrequenzvariabilität bei 39 normotensiven (mit normalem Blutdruck) männlichen Gewohnheitsrauchern: Sowohl der pNN50 als auch die HF-Komponente waren in der Nichtraucherperiode signifikant höher als in der Raucherperiode, sowohl tagsüber als auch nachts, was darauf hindeutet, dass der Rauchstopp die parasympathische Nervenaktivität während eines 24-Stunden-Zeitraums bei diesen Probanden erhöhte.
HRV-Parameter | Raucherphase | Nichtraucherphase |
---|---|---|
pNN50, % | 10.0 ±1.6 | 15.6±2.1 |
LF, ln (ms2) | 5.28±0.11 | 5.76±0.11 |
HF, ln (ms2) | 4.37±0.17 | 5.00±0.16 |
ln (LF/HF) | 0.90±0.08 | 0.77±0.07 |
Die Werte sind Mittelwerte±SEM (Standardfehler) von 39 Probanden. (https://doi.org/10.1161/01.HYP.33.1.586, Tabelle 4)
In einer aktuellen Studie aus 2022 (2) bestätigt sich dieser Effekt:
„Es hat sich gezeigt, dass Rauchen die normale Funktion des autonomen Nervensystems verändert, einschließlich eines
- Anstiegs des sympathischen Antriebs,
- einer Abnahme der HRV und
- einer Abnahme der parasympathischen Kontrolle. „
Die gesundheitlichen Effekte von Rauchen teilen sich dabei auf in die Wirkung des Nikotins und die Effekte des Feinstaubs.
Biochemisch: Nikotin stellt uns auf Alarmmodus
Die unmittelbare Wirkung von Nikotin kann das Herz sowohl kurz- als auch langfristig durcheinander bringen, indem es Katecholamine im Körper freisetzt. Das Katecholamin-Level im Blut steigt bereits in der ersten Minute nach einer Zigarette an.
Die wichtigsten natürlichen Katecholamine sind Dopamin, Noradrenalin und Adrenalin. Sie treten als Überträger von Nervenimpulsen (Neurotransmitter) auf und wirken unter anderem bei der Kampf-oder-Flucht-Reaktion des Körpers mit: Nikotin beschleunigt den Herzschlag und erhöht den Blutdruck. Es kommt u. a. zu einer Abnahme des Hautwiderstandes und einem Absinken der Hauttemperatur. Dieser künstliche Alarmmodus stört den Ausgleichsdrang des autonomen Nervensystems und verkehrt den evolutionären Überlebensdrang in eine Übersprungshandlung: kurz gesagt, das Rauchen bringt Ihr Nervensystem durcheinander und kann dazu führen, dass Sie mehr rauchen wollen. Je nach Menge und Dauer der Nikotinzufuhr, kann das Katecholamin-Level dann wieder sinken und die HRV damit steigen. Diese sog. parasympathische Sättigung dient als eine Art Überlaufventil des Gesamtsystems: zu lange auf Vollstrom ist entweder schädlicher als die (vermeintliche) unmittelbare Gefahr oder erschöpft die Energiereserven für passende Reaktion.
Biomechanisch: Feinstaub setzt uns in Notbetrieb
Der Forschung nach verringert die Verwendung von Nikotinpflastern die Herzfrequenzvariabilität der Menschen stärker als das Rauchen von Zigaretten. Demnach muss es noch einen anderen physiologischen Effekt des Rauchens geben, der dem Aufputschen des Nikotins entgegenwirkt. Eine Theorie dazu besagt, dass winzige Partikel, die von Zigaretten eingeatmet werden, die Art und Weise beeinflussen können, wie das Herz von Neuronen reguliert wird. Und es stellt sich heraus, dass sich die Herzfrequenz tatsächlich verlangsamt, wenn Menschen und Tiere feine oder ultrafeine Partikel einatmen – ziemlich verrückt, oder? Das „Beruhigende“ an einer Zigarette ist also möglicherweise ein Notprogramm unseres autonomen Nervensystems, um das schadhafte Inhalieren von Feinstaub zu reduzieren.
Ein weiterer Effekt der Feinstaub-Inhalation ist das beobachtbare Ansteigen der HRV als Anpassung auf diesen vorübergehenden Schaden: „Zusammengenommen unterstützen die früheren Analysen und die vorliegende Analyse die Idee, dass Luftschadstoffe unmittelbar nach der Exposition die Herzfunktion stören, was nach einigen Stunden abklingt und später von einer Erholungsreaktion gefolgt wird.“ (3)
Quellen:
(1) Junichi Minami, Toshihiko Ishimitsu and Hiroaki Matsuoka: Effects of Smoking Cessation on Blood Pressure and Heart Rate Variability in Habitual Smokers. Originally published 1 Jan 1999, https://doi.org/10.1161/01.HYP.33.1.586 | Hypertension. 1999;33:586–590
(2) Taan Al. Awar, D. H., Al Yafei, A. H., & Al Fehaidi, A. A. S. (2022). Smoking and its effects on heart rate variability. International Journal of Research in Medical Sciences, 10(4), 933–936. https://doi.org/10.18203/2320-6012.ijrms20220988
(3) Riediker, Michael & Franc, Yannick & Bochud, Murielle & Meier, Reto & Rousson, Valentin. (2018). Exposure to Fine Particulate Matter Leads to Rapid Heart Rate Variability Changes. Frontiers in Environmental Science. https://doi.org/10.3389/fenvs.2018.00002