Bei der Bewertung von Brustgurten werden immer wieder die gleichen Eigenschaften herangezogen: Tragekomfort ist weitgehend subjektiv, die Batterielaufzeit hängt vor allem an der richtigen Handhabung (Empfänger abklippen oder Sensoren abtrocknen) und die Kompatibilität mit anderen Geräten ist weitgehend gegeben über standardisierte Übertragunsprotokolle (Ant+ und Bluetooth).
Abseits von werblichen Vergleichen und nicht repräsentativen Erfahrungsberichten wollen wir den Polar H10 also anhand objektiver wissenschaftlicher Ergebnisse bewerten. Entscheidend für die Messung der Herzratenvariabilität sind zwei Kriterien, die wir hier genauer für den Polar H10 prüfen wollen: Signalqualität und Abtastrate.
Wie gut kommt’s rein? Die Signalqualität
Wie funktioniert denn eigentlich so ein Brustgurt: da haben wir ein Elektrodenband, das um die Brust gelegt wird, und einen Sender, der mit dem Elektrodenband verbunden ist. Die Elektroden des Gurts erfassen die elektrischen Signale, die von den Herzmuskeln erzeugt werden (also nicht den Puls!), wenn sie sich zusammenziehen und entspannen. Diese Signale werden dann an den Sender weitergeleitet, der sie drahtlos an ein Empfangsgerät, wie z.B. eine Pulsuhr oder ein Smartphone, überträgt.
Entscheidend für die Signalqualität ist also die eindeutige Erkennbarkeit der elektrischen Spannungsunterschiede durch die auf der Haut aufliegende Elektroden. Neben der Anzahl der Elektroden hängt das beim Brustgurt vor allem von der Größe und der „Anschmiegung“ der Kontaktfläche ab. Der Polar Pro Strap erfüllt diese Anforderung mit seinen großen Elektroden und dem flexiblen Textilgurt bestmöglich.
Wie oft kommt’s rein? Die Abtastrate
Die Abtastrate ist die Anzahl der Messungen pro Sekunde (angegeben in Hertz), die der Brustgurt durchführt, um die Herzfrequenz zu erfassen. Je höher die Abtastrate, desto genauer und zuverlässiger sind die (HRV)-Messungen. Bei einer Abtastrate von 1000 Hz erfolgt also 1 Messung pro Millisekunde (ms) – der Einheit, in der die HRV angegeben wird. Insofern gilt also mal: je mehr, desto besser. Auf der anderen Seite verbraucht das auch mehr Energie und erzeugt mehr Daten, die übertragen und verarbeitet werden müssen – was bei naturgemäß eingeschränkter Kapazität eines Brustgurtes zu limitieren ist.
Exkurs: die Erregungsleitung im Herzen
Der erste Schritt im Erregungsleitsystem des Herzens ist die Erzeugung eines elektrischen Impulses im Sinusknoten, einer Gruppe von Zellen im rechten Vorhof des Herzens. Der Sinusknoten fungiert als natürlicher Herzschrittmacher und gibt regelmäßig elektrische Impulse ab, die sich über die Vorhöfe ausbreiten und die Kontraktion der Vorhöfe stimulieren.
Der elektrische Impuls gelangt dann zum atrioventrikulären (AV) Knoten, einer Gruppe von Zellen zwischen den Vorhöfen und den Herzkammern. Hier wird der Impuls verzögert, um den Vorhöfen Zeit zu geben, sich vollständig zusammenzuziehen und das Blut in die Herzkammern zu befördern.
Der Impuls wird dann über die His-Bündel und die linken und rechten Tawara-Schenkel auf die Herzkammern übertragen. Diese spezialisierten Zellen leiten den Impuls schnell durch den Herzmuskel, wodurch eine schnelle und koordinierte Kontraktion der Kammern ermöglicht wird.
Je mehr Datenpunkte wir durch höhere Abtastrate erhalten, desto konturierter also das sog. Kardiogramm, also die Auf-Zeichnung der Erregungsleitung im Herzen. Wo liegt dann die optimale Abtastrate im Kompromiss zum Datenmüll?
Welle vs. Zacken
Während für die Herzfrequenz ein eventuell übersehener Herzschlag das Messergebnis nicht signifikant verfälscht, ist die HRV-Messung sehr viel anfälliger für Messfehler. Grundlage dafür ist der eindeutige Ausschlag der R-Zacken (mehr dazu), der mit steigender Anzahl an Datenpunkten immer genauer wird. Nur so können die Abstände der Herzschläge (und damit deren Abweichungen) exakt gemessen und „Ausreisser“ (sog. ektopische Schläge oder Extrasystolen) und Störsignale durch Bewegung, Atmung usw. (sog. Artefakte) als solche identifiziert werden. Bei zu wenigen Datenpunkten verschwimmt der R-Zacken zu einer Welle und ist damit nur ungenauer Messpunkt für den Abstand zum nächsten. Die Literatur empfiehlt für die HRV-Messung eine Abtastrate von mindestens 250 Hz, also alle 4ms eine Messung.
RR-Modus vs. EKG-Modus
Der RR-Modus (auch R-R-Intervall-Modus genannt) ist eine Funktion, die in einigen Brustgurten und Herzfrequenzmonitoren integriert ist. Der RR-Modus zeichnet die Zeit zwischen zwei aufeinanderfolgenden R-Zacken im Elektrokardiogramm (EKG) auf, die auf die Kontraktion des Herzmuskels zurückzuführen sind. Im Gegensatz dazu zeichnet der EKG-Modus eines Brustgurts das gesamte Elektrokardiogramm (EKG) auf, also die grafische Darstellung der elektrischen Aktivität des Herzens während des kompletten Herzzyklus (P-Welle, QRS-Komplex und T-Welle).
Der Polar hat im RR-Modus eine Abtastrate von 1000 Hz und im EKG-Modus 130 Hz – misst also in jedem Fall mehr als für eine saubere HRV-Messung nötig ist. Darüberhinaus ergeben beide Modi nach Auswertung der Rohdaten ein vergleichbares Bild: „Der Polar H10 im RR-Modus (Abtastrate 1000 Hz) scheint auch ähnliche DFA a1-Werte zu liefern wie der H10 im EKG-Modus (130 Hz).“ (1)
Aktuelle Studienlage
Die aktuelle Studie „Validity of the Polar H10 Sensor for Heart Rate Variability Analysis during Resting State and Incremental Exercise in Recreational Men and Women“ vom September 2022 (1) untersuchte die Genauigkeit des Polar H10-Sensors zur Messung der Herzfrequenzvariabilität (HRV) bei verschiedenen Aktivitätsniveaus, von Ruhe bis Erschöpfung. Dazu wurden wurden Tests an einer Gruppe von 25 gesunden Erwachsenen durchgeführt, die in der Freizeit sportlich aktiv waren. Die Teilnehmer führten einen Belastungstest auf dem Fahrradergometer mit einer Erhöhung des Widerstands um 1 Watt alle 3,6s durch. Dabei wurden die mit dem Polar H10-Brustgurt und die über ein Elektrokardiogramm (12-Kanal-EKG) gewonnenen HRV-Daten mit Fokus auf RR-Intervalle verglichen. Die Datenanalyse erfolgte für beide Messquellen in der Kubios HRV Premium Software.
Lineare HRV-Messungen, die vom Polar H10-Sensor-Brustgurtgerät abgeleitet und mit der Elite HRV-App aufgezeichnet wurden, stimmen in Bezug auf RR-Intervalle und HF genau mit Messungen überein, die mit einem Referenz-EKG durchgeführt wurden. In Bezug auf DFA a1 tendieren die Werte bei höheren Trainingsintensitäten dazu, eine höhere Abweichung von der tatsächlichen HRV aufzuweisen und die Unterschiede zwischen verschiedenen Messungen größer zu machen. Dies kann teilweise auf die Art und Weise zurückzuführen sein, wie die Messungen durchgeführt werden und wie das Herz auf unterschiedliche Trainingsintensitäten reagiert. Da dieses mobilbasierte HRV-Aufzeichnungssetup jedoch eine überlegene Praktikabilität bei allgemein vergleichbaren Ergebnissen aufweist, könnte seine kommerzielle Nutzung für das Monitoring von HRV-Daten unter Ruhe- und Ausdauerbelastungsbedingungen gerechtfertigt sein.
Exkurs: Unterschied zwischen linearer und nicht-linearer HRV-Messung
Die lineare Herzfrequenzvariabilität (HRV) Messung berechnet statistische Kennzahlen aus der Herzfrequenz, wie zum Beispiel die Differenz zwischen den aufeinanderfolgenden Herzschlägen. Diese Messung gibt eine allgemeine Vorstellung davon, wie variabel die Herzfrequenz über einen bestimmten Zeitraum ist.
Die nichtlineare HRV-Messung hingegen nutzt mathematische Methoden wie z.B. die o.g. „Detrended Fluctuation Analysis (DFA)“, um die komplexen Muster in der Herzfrequenzvariabilität zu analysieren. Diese Methoden berücksichtigen nicht nur die Variabilität der Herzfrequenz, sondern auch die Art und Weise, wie diese Variabilität auftritt. Die nichtlineare HRV-Messung kann daher möglicherweise präzisere Informationen in der Diagnostik und Überwachung von Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems eingesetzt werden.
Fazit für die praktische Anwendung
Die Messgenauigkeit des Polar H10 in Bezug auf die HRV in Ruhe und Belastung ist identisch mit der eines Mehrkanal-EKGs. Ab da steht’s und fällt’s mir der Verarbeitung der übergebenen Daten durch die verwendete Software oder App.
Quellen:
(1) http://www.muscleoxygentraining.com/2021/04/dfa-a1-sample-rates-and-device-quirks.html?m=1
(2) Schaffarczyk, M., Rogers, B., Reer, R., & Gronwald, T. (2022). Validity of the Polar H10 Sensor for Heart Rate Variability Analysis during Resting State and Incremental Exercise in Recreational Men and Women. Sensors (Basel, Switzerland), 22(17), 6536. https://doi.org/10.3390/s22176536
(3) Lee, K. F. A., Chan, E., Car, J., Gan, W. S., & Christopoulos, G. (2022). Lowering the Sampling Rate: Heart Rate Response during Cognitive Fatigue. Biosensors, 12(5), 315. https://doi.org/10.3390/bios12050315