HRV-Messung: Zeitpunkt, Körperposition und Dauer

Für aussagekräftige HRV-Werte ist die Messung entscheidend. Wann, wie, wie lange und wie oft? Dazu schauen wir uns die Studienlage und Erfahrungswerte einmal genauer an.
HRVGuide-wann-messen
Inhaltsverzeichnis

Zeitpunkt der HRV-Messung: Nachts, morgens oder zwischendurch?

Variante 1: Standardisiert am Morgen nach dem Aufwachen

Die HRV spiegelt das Belastungsniveau unseres Körpers wider. Genauer: den momentanen Status unseres autonomen Nervensystems in Reaktion auf Stress. Für eine Aussage zu unserer akuten Anpassungsfähigkeit auf Stress ist also der Zeitpunkt nach Erholung in der Nacht und vor den anstehenden Stressoren des neuen Tages ideal. Mit ausreichender Wiederholung der HRV-Messung am Morgen ergibt sich so unser individueller Basiswert und Korridor, innerhalb dessen „alles gut ist“.

Variante 2: Durchschnittsermittlung während des Schlafs

Während wir schlafen durchlaufen wir verschiedene Schlafstadien (Tiefschlaf, REM-Phasen, leichter Schlaf bis Wachzustand), die mit unterschiedlicher Aktivierung des Autonomen Nervensystems verbunden sind:

  1. Leichter Schlaf: In der leichten Schlafphase ist die HRV im Allgemeinen höher als in der Tiefschlafphase. Dies liegt daran, dass während des leichten Schlafs das parasympathische Nervensystem aktiver ist, was zu einer höheren HRV führt.
  2. Tiefschlaf: Während des Tiefschlafs ist die HRV im Allgemeinen niedriger als während des leichten Schlafs. Dies liegt daran, dass während des Tiefschlafs das sympathische Nervensystem aktiver ist, was zu einer geringeren HRV führt.
  3. REM-Phase: Während des REM-Schlafs (Rapid Eye Movement) ist die HRV im Allgemeinen höher als während des Tiefschlafs, aber niedriger als während des leichten Schlafs. Dies liegt daran, dass während des REM-Schlafs das parasympathische Nervensystem wieder aktiver wird, aber nicht so stark wie während des leichten Schlafs.

Dabei ist – neben der Schlafdauer insgesamt – das Verhältnis dieser Phasen zueinander entscheidend für unseren Erholungsgrad. Des Weiteren unterliegen wir während der Nacht ebenso wie am Tag unserer inneren Uhr (dem sog. zirkadianen Rhythmus), die im Übergang von Wachsein zum Schlafen ebenfalls Einfluss auf die HRV hat. Eine aussagekräftige Ruhe-HRV ist also erst möglich, nachdem alle Schlafphasen durchlaufen sind – entweder über durchgängige Messung in der Nacht oder als Momentaufnahme nach dem Aufwachen.

Eine aktuelle Studie (1) hat diese beiden Messvarianten verglichen: dazu wurden über drei Wochen bei jungen Sportlern nachts alle drei Minuten über ein Ballistokardiogramm (BCG) die durchschnittlichen HRV-Werte gemessen und nach dem Aufwachen ein Orthostatischer Test mit einem Burstgurt (Polar H10) durchgeführt. Ergebnis: „Herzfrequenz und RMSSD, die während des nächtlichen Schlafs und am Morgen gemessen wurden, unterschieden sich nicht signifikant„. Voraussetzung ist aber die kontinuierliche nächtliche Messung (im 3-Minuten-Rhythmus), um die Unterschiede der HRV in den verschiedenen Schlafphasen auszugleichen. Neben dem aufwändigen Setup zur Ballistokardiographie braucht’s dazu aber ein geeignetes Gerät für fortlaufende Messung: der Oura-Ring zum Beispiel kann das, die Apple Watch hingegen misst nur sporadisch. Ausserdem fehlen diejenigen Werte der Nacht, die während der regelmäßigen Messung durch Bewegung oder andere Störungen der Aufzeichnung unterbrochen werden.

Zusammenfassung: was verfälscht die Durchschnitts-HRV in der Nacht im Vergleich zur Ergebnis-HRV am Morgen:

  1. Zirkadianer Rhythmus: das natürliche Herunterfahren von Wach- auf Schlafmodus
  2. Abend-Stressoren: Training, Essen oder Alkohol kurz vor dem Schlafengehen
  3. Unruhiger Schlaf: Messunterbrechungen senken die Datenqualität
  4. Parasympathische Sättigung: mehr dazu hier.

Variante 3: Langzeit-Aufzeichnung tagsüber

Gibt eine 24h-Aufzeichnung nicht das umfassendste Bild zu HRV und damit zur autonomen Stressreaktion? Wenn ich tagsüber Nahrung aufnehme, Training absolviere oder einen Vortrag halte, sinkt die HRV sprich parasympathische Aktivierung. Ob das in Intensität und Dauer ein tolerables Maß überschreitet, zeigt die HRV-Messung erst nach einer Pause von solchen Stressoren – am besten nach mehr oder weniger erholsamem Schlaf.

Unsere systemische Erholungsfähigkeit ergibt sich also aus der als Anpassung auf die kumulierte und nicht die akute Belastung. Im Gegenteil: eine reduzierte HRV während oder nach einer körperlichen oder mentalen Belastung ist oft sogar gewollte Reaktion, um in der sog. Superkompensation dieser Stimuli die Reizschwelle für kommende Belastungen zu erhöhen. So passen sich zum Beispiel Stoffwechsel und Zellwachstum auf geeignete Trainingsreize hin an oder sinkende Sensitivitäten von biochemischen Rezeptoren erhöhen die mentale Resilienz.

Liegen, Sitzen, Stehen? Der orthostatische Test

Es kommt nicht von ungefähr, daß wir im Liegen schlafen. So wirk naturgemäß am wenigsten Anpassungsbedarf (=Stress) auf unseren Körper: Skelettmuskulatur und Blutdruck haben so den geringsten Aufwand gegen die Schwerkraft. Beim Aufstehen ändert sich das abrupt und die ersten Systeme sorgen für aufrechte Haltung, stabilen Stand und Längsverteilung des Blutvolumens.

Wenn wir wie oben hergeleitet die HRV-Messung nach der Regeneration im Schlaf präferieren, haben wir vor dem Aufstehen also den maximalen Erholungsstatus. Um allerdings die daraus abzuleitende Anpassungsfähigkeit für neu anstehende Belastungen zu messen, brauchen wir einen (wiederkehrend konstanten) Trigger zur Aktivierung des autonomen Nervensystems – ohne durch variable Stressoren zu verfälschen. Mit dem Aufrichten bis zum Sitzen oder vollständigem Aufstehen zur Messung der morgendlichen HRV haben wir einen solchen standardisierten Trigger. So schalten wir die „Stressbewältigungsmaschine“ nach ihrer nächtlichen Ladephase ein und können den Statusbericht noch vor den kommenden Aufgaben abrufen.

Fazit: morgens, sitzend, 3 min.

Quellen:

(1) Mishica C, Kyröläinen H, Hynynen E, Nummela A, Holmberg HC, et al. (2022) Evaluation of nocturnal vs. morning measures of heart rate indices in young athletes. PLOS ONE 17(1): e0262333. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0262333

Verwandte Beiträge:

Prinzip und Funktion der Herzratenvariabilität

Mit der Verbreitung von Smart Watches und anderen Wearables findet die Herzratenvariabilität (= Herzfrequenzvariabilität) breite Beachtung als zentraler Biomarker für die individuelle Gesundheit.

DSGVO Cookie Consent mit Real Cookie Banner