Was wird gemessen für die HRV?
Die Herzfrequenzvariabilität (HRV) zeigt, wie (un)rhythmisch Dein Herz schlägt. Dazu gibt es verschiedene Parameter mit unterschiedlichem Informationsgehalt zu gleichem Phänomen: der Variation der Herzschlagintervalle.
Grundlage dafür ist die Messung der Abstände zwischen zwei Herzschlägen, die sog. RR-Intervalle. Wie im Beitrag zu Konzept und Funktion der HRV beschrieben sind diese (im Normalfall) nicht gleich groß und genau diese Schwankungen brauchen wir für die Berechnung der HRV-Parameter. Dazu wird über mit geeignetem Sensor die Dauer zwischen den R-Zacken des sog. QRS-Komplex gemessen.
Im Gegensatz zu Puls und Blutdruck können wir die HRV also nicht in Echtzeit beobachten, sondern als Rechenergebnis nach einer Messung. Wenn wir eine ausreichende Reihe dieser RR-Intervalle aufgezeichnet haben, können wir mit diesen Rohdaten unterschiedliche Parameter berechnen (lassen).
Zeitbereichsparameter
Zeitbereichsparameter beziehen sich auf die Variationen in der Zeit zwischen den Herzschlägen und können durch einfache statistische Berechnungen erfasst werden. Dazu gehören die Standardabweichung des RR-Intervalls (SDNN), der quadratische Mittelwert des RR-Intervalls (RMSSD), und das 50ms-Percentil des RR-Intervalls.
SDNN (Standard Deviation of RR-Intervals)
Die Standardabweichung des RR-Intervalls (SDNN) misst die Streuung um den Mittelwert der RR-Intervalle, also die Gesamtheit der Variationen in den Abständen zwischen den Herzschlägen über einen bestimmten Zeitraum.
Rechnerisch wird dazu die durchschnittliche Zeit zwischen den Herzschlägen (Mittelwert der RR-Intervalle) berechnet und von jedem RR-Intervall im Zeitraum subtrahiert. Die quadrierten Unterschiede zwischen den RR-Intervallen werden addiert, durch die Anzahl der RR-Intervalle dividiert und anschließend die Wurzel gezogen, um die SDNN in ms zu erhalten.
SDNN gibt einen Hinweis auf die Gesamtmenge der HRV, also die Summe aus sympathischer und paarsympathischer Aktivierung: eine hohe SDNN zeigt an, dass das Herz in der Lage ist, auf unterschiedliche körperliche und emotionale Anforderungen zu reagieren und ein gesundes Gleichgewicht zwischen dem sympathischen und parasympathischen Nervensystem aufrechtzuerhalten.
RMSSD (Root Mean Sum of Squared Distance)
Die verbreitetste Methode zur Analyse der HRV heisst RMSSD und steht für „Root Mean Square of Successive Differences“. Sie misst die durchschnittliche quadratische Abweichung der aufeinanderfolgenden Herzschläge in Millisekunden. Die Berechnung erfolgt durch Quadrieren jeder Differenz zwischen aufeinanderfolgenden RR-Intervallen, Berechnen des Mittelwerts dieser quadrierten Differenzen und anschließendes Ziehen der Quadratwurzel des Ergebnisses. Das Ergebnis wird dann in Millisekunden angegeben.
Der RMSSD gibt Auskunft über die kurzfristigen Variationen der Herzfrequenz. RMSSD wird häufig als Indikator für die Aktivität des parasympathischen Nervensystems verwendet, das für die Erholung des Körpers und die Regulierung von Ruhezuständen verantwortlich ist.
pNN50
Die prozentuale Anzahl von aufeinanderfolgenden RR-Intervallen, die um mehr als 50 Millisekunden (ms) variieren (pNN50), ist ein Parameter der HRV, der die kurzfristigen Variationen der Herzfrequenz bewertet. Die Anzahl der aufeinanderfolgenden RR-Intervalle, die um mehr als 50 ms variieren, wird gezählt und durch die Anzahl der insgesamt gemessenen RR-Intervalle multipliziert, um den prozentualen Anteil von pNN50 zu erhalten.
pNN50 ist ebenfalls ein Maß für die Aktivität des parasympathischen Nervensystems, das für die Erholung des Körpers und die Regulierung von Ruhezuständen verantwortlich ist. Im Unterschied zum RMSSD bezieht es sich aber auf die Häufigkeit statt auf die Stärke der kurzfristigen Variationen.
Frequenzbereichsparameter
Die Frequenzbereichsparameter der HRV sind eine weitere Möglichkeit, diese Variationen zu analysieren und zu verstehen. Zu ihrer Bestimmung muss das aufgezeichnete Herzfrequenzsignal zunächst in seine Frequenzanteile zerlegt werden. Dies geschieht durch eine mathematische Transformation, die als Fast Fourier Transformation (FFT) bezeichnet wird. Die FFT zerlegt das Signal in seine Bestandteile im Frequenzbereich und erzeugt daraus ein sogenanntes Leistungsspektrum, das die Stärke des Signals in Abhängigkeit von der Frequenz darstellt.
Aus dem Leistungsspektrum werden dann die Frequenzbereichsparameter abgeleitet, die die Stärke des Signals in bestimmten Frequenzbereichen widerspiegeln:
Hochfrequenz (HF)
Die Stärke des Signals im Bereich von 0,15 bis 0,4 Hertz. HF ist ein Indikator für die kurzfristigen (hochfrequenten!) Variationen der RR-Intervalle und damit für die Aktivität des parasympathischen Nervensystems, das für die Entspannung und Erholung des Körpers zuständig ist.
Niedrigfrequenz (LF)
Die Stärke des Signals im Bereich von 0,04 bis 0,15 Hertz. LF ist ein Indikator für die längerfristigen (niedrigfrequenten!) Variationen der RR-Intervalle und damit die Aktivität des sympathischen Nervensystems, das für die Mobilisierung des Körpers zuständig ist.
Sehr niedrige Frequenz (Very Low Frequency)
Die Stärke des Signals im Bereich von 0 bis 0,04 Hertz. VLF ist ein Indikator für die sehr langfristigen Veränderungen der RR-Intervalle und mit Parameter für Stoffwechselprozesse und systemische Entzündungen im Körper.
Gesamtenergie (Total Power, TP)
Die Gesamtstärke des Signals im Frequenzbereich von 0 bis 0,4 Hertz. TP gibt Auskunft über die Gesamtaktivität des autonomen Nervensystems.
LF/HF-Verhältnis
Das Verhältnis zwischen der niedrigen Frequenz (LF) und der hohen Frequenz (HF) ist ein Indikator für die Balance zwischen sympathischen und parasympathischen Aktivitäten des autonomen Nervensystems (ANS).
Nichtlineare Parameter
Nichtlineare Parameter in der Herzfrequenzvariabilität (HRV) sind mathematische Modelle, die nicht auf der Annahme basieren, dass die Beziehung zwischen Herzfrequenz und Zeitintervallen direkt proportional ist. Stattdessen betrachten sie die komplexen Zusammenhänge und Abhängigkeiten zwischen den Daten.
Beispiele für nichtlineare Parameter in der HRV sind:
Poincaré-Plot
Der Poincaré-Plot liefert eine grafische Darstellung der Abhängigkeit zwischen aufeinanderfolgenden Herzschlägen. Der Plot zeigt die Dauer des aktuellen Herzschlags (x-Achse) gegen die Dauer des vorherigen Herzschlags (y-Achse) auf.
Der Poincaré-Plot wird verwendet, um Muster in der HRV zu identifizieren und zu analysieren. Die geometrischen Formen auf dem Plot können zum Beispiel darauf hinweisen, ob das Herz-Kreislauf-System gesund oder gestört ist. Ein runder oder elliptischer Poincaré-Plot deutet auf eine gesunde HRV hin, während eine längliche oder unregelmäßige Form auf eine verminderte HRV und somit möglicherweise auf ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen oder andere Gesundheitsprobleme hinweisen kann.
Der Poincaré-Plot kann auch zur Beobachtung von Veränderungen in der HRV im Laufe der Zeit verwendet werden, beispielsweise um zu sehen, wie sich körperliche Aktivität oder Stress auf das Herz-Kreislauf-System auswirken.
Detrended Fluctuation Analysis (DFA)
Die DFA-Methode analysiert die langfristigen Schwankungen in der HRV und sucht nach Mustern in der Beziehung zwischen Herzfrequenz und Zeitintervallen. Die Ergebnisse der DFA können verwendet werden, um die Fähigkeit des Körpers zu beurteilen, auf Änderungen im Kreislaufsystem zu reagieren und die Herzfrequenz entsprechend anzupassen.
Sample Entropy (SampEn)
Die SampEn-Methode analysiert die Wahrscheinlichkeit, dass ähnliche Sequenzen von Herzfrequenzdaten wiederholt werden. Eine höhere SampEn weist auf eine größere Variabilität und Komplexität der HRV hin, während eine niedrigere SampEn auf eine stärkere Regelmäßigkeit und Vorhersehbarkeit der HRV-Muster hindeutet. Die SampEn kann verwendet werden, um Unterschiede in der HRV zwischen verschiedenen Gruppen von Personen oder in Abhängigkeit von verschiedenen Bedingungen zu identifizieren.
Mit diesem ausführlichen Überblick zur Messung und den Varianten der Berechnungsmethoden machen wir uns nun an die erhaltenen Ergebnisse. Zur richtigen Interpretation der Herzfrequenzvariabilität blicken wir auf relative Normwerte, proprietäre Scores und individuelle Trends.
Quellen:
(1) Shaffer, F., & Ginsberg, J. P. (2017). An overview of heart rate variability metrics and norms. Frontiers in public health, 5, 258. https://doi.org/10.3389/fpubh.2017.00258